Leseprobe Ausgabe 20/21

Leseprobe



Die Gefühls-Psycho-Physiognomik


als geheimnisvolle Schöpferkraft jeder alten und neuen Gesellschaftsordnung von Carl Huter.
Aus Hochwart Nr. 4 Januar 1900

Lieber Leser und Leserin, wenn Du zum ersten Male einem Menschen gegenübertrittst, so wirst Du unwillkürlich suchen, messen und vergleichen, was der Fremde nicht nur in seinen Worten, sondern auch in seinen Gebärden zum Ausdruck bringt. Dieses Suchen, Messen und Vergleichen kann mit verschiedenen Auffassungsmitteln geschehen, z.B. mit dem individuellen Formengefühl über die ruhenden Körpermaßen, oder mit dem Taktgefühl der inneren Beweglichkeit, oder mit dem Sehen, Hören, ja selbst Riechen. Jemand der sehr unangenehm riecht, kann bei uns sofort die Sympathie verlieren. Eine zu harte, kneisende oder näselnde Aussprache, oder ein abstoßender Tonfall gefällt uns nicht. Zu sehr unserm eigenen Körper extrem liegende Beweglichkeit, Ruhe oder Gesammtbildung berührt uns nicht sympathisch, ein kalter oder stechender, listiger, unheimlicher Blick erschüttert in uns das Vertrauen zu der Person, kurz, jeder nimmt den Maßstab, womit er physiognomisch misst, aus sich selbst, seine eigene Individualität gilt ihm als Werthmesser, womit er andere beurteilt. Diese Methode ist das, was man instinktives Gefühl nennt.

Diesen gleichen Maßstab der Bewertung wendet man auch bei der Beurteilung der Vermögenslage eines anderen an. Ist z.B. jemand gleich reich wie Du, so stellst Du Dich ihm leicht freundschaftlicher gegenüber. Ist jemand bedeutend ärmer als Du, so meidest Du ihn mehr oder weniger, es sei denn, Du brauchst ihn zu besonderen Diensten. Ist jemand bedeutend reicher als Du, so verehrst
Du ihn bedeutend mehr, oder doch in ihm den Besitzer des großen Reichtums, kannst Dich nicht so leicht vertraulich anschließen, scheust mehr oder weniger zurück.

Dasselbe gilt auch von der öffentlichen Rang- oder Ehrenstellung. Aus diesen Tatsachen hat sich der Kastengeist, die Gesellschaft und schließlich der Staat und seine inneren Formen kristallisiert.

Die instinktive Menschenkunde ist der Schöpfer des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens zu allen Zeiten gewesen.
Diese instinktive Menschenwertung hat nun, da sie aus einem dunklen Etwas entsprungen ist, oft gar keine vernünftige Basis und darum vielfach Missverhältnisse gezeitigt. Das eigene unbewußte Mittun zu den bestehenden Verhältnissen und das immer wieder neue instinktive Physiognomisieren wirkte schließlich suggestiv, faszinierend, ja fast hypnotisierend und leben die Menschen in einem faszinierenden hypnotischen Banne, der lediglich aus den Menschen selbst hervorgegangen ist, und diesen sich selbst eingeredeten Bann nennen sie in der Religion Gottes Wort, im Staate Gesetz und Ordnung, in der Gesellschaft Mode, Sitte und Gebrauch und dieses gilt dem Durchschnittsmenschen wiederum als maßgebend.

Würden es immer und Überall nur Durchschnittsmenschen geben, so würde man weder eine ethische Entwicklung, noch fort- schreitende Kultur, noch sonst was haben, was bessere Verhältnisse herbeiführt.
Gott sei Dank gibt es immer eine kleine An- zahl Menschen, die mehr denken, sehen, fühlen und handeln wie der Alltagsmensch, und diese wenigen sind es, welche die Massen bei entsprechender Energie fortbewegen.
Die Masse ist stets konservativ, und nur der Konservative ist der geistige Demokrat, der die Dummheit der Massen zu dem Zweck meist hin benutzt, um oben zu schwimmen, dass heißt vorteilhaft dazustehen.

Die wenigen sind die Geistesaristokraten, sie werden aber oft wegen ihrer fortschrittlichen reformatorischen Tätigkeit mit allem andern, nur nicht mit dem wohlverdienten Titel Aristokrat bezeichnet. Selbstbetrug ist die Wurzel aller Übel, und dieser hat seinen Boden in der Unter- oder Überschätzung der eigenen Person, oder der, anderer Personen und der umgebenden Verhältnisse.
Wer mir hier nachfolgen will, der darf nicht eitel, eingebildet und überhebend sein, aber auch nicht pessimistisch und mutlos; denn es ist der eigene Maßstab nicht richtig, wenn du selbst unvollkommen und mangel- haft bist. Das was sich deinem Gefühl und deinen Augen spiegelt in der äußeren Welt, trägt das Gepräge deiner eigenen Individualität, und du erdrückst es mit deiner eigenen Individualität, wenn du nicht versuchst, durch wissenschaftliche physiognomische Schulung reinere Wertmesser zu finden, kurzum, ein genialer Mensch hat eine ziemlich wahre Auffassung von der Umgebung, der weniger Kluge aber urteilt entweder nach suggerierten Wertungen, die ganz so mangelhaft sind, als er selbst ist, oder er ergibt sich gnadenlos den Werten, wie sie sich in der gegenwärtigen religiösen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Ordnung aufdrängen.

Die Irrtümer der instinktiven Menschwertung und der bestehenden äußeren Sitten, Dinge und Verhältnisse können also nichts anderes, als durch eine wissenschaftliche Menschenkenntnis beseitigt werden und damit kann erst ein besseres Zeitalter her- einbrechen.

Diese untrügliche wissenschaftliche Menschenkenntnis in volksverständlicher und populärer Weise zu lehren und zu verbrei- ten, das soll die Hauptaufgabe dieses Blattes sein. Geduld, Fleiß, Lust und Bescheidenheit bringe ein Jeder zu diesem Studium mit, das führt zum Ziele.

Carl Huter


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(Fortsetzung in der aktuellen Ausgabe von Praktische Psycho-Physiognomik nach Carl Huter)

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